Donnerstag, 12. Oktober 2006
Infiziert
Es gibt Geräusche, die gehören einfach nicht in diese Wohnung. Das, was er gerade macht, ist so eins. Er röchelt, er hustet, er leidet. Kurz: Sein Ende naht. Er ist krank. Schwer krank. Ich diagnostiziere eine Erkältung. Er glaubt eher an Pfeiffersches Drüsenfieber. Vielleicht auch TBC. Wenn es ganz dumm kommt, hat er sich einen seltenen Tropenvirus eingefangen. Die 18 Grad Außentemperatur gestern könnten dafür ausreichend gewesen sein. Da hilft nur noch eins. Kaffee. Zumindest bei ihm.



Ich schicke ihn in die Küche und wähne mich in Sicherheit. Ein paar Minuten Ruhe. Ein bisschen Zeit, zum Schreiben. Doch da ist es wieder. Dieses böse Geräusch, das ich bisher nur vom Fußballplatz kannte. Und dann ein Aufschrei. Ich denke nach. Sind die Messer sicher verstaut? War die Herdplatte noch an? Hat er das Chaos im Kühlschrank gesehen? Schlimmer. Viel schlimmer. Der Kaffee ist alle. Leer. Restlos aufgebraucht. Und dabei bin gestern Abend extra noch kurz vor Ladenschluss los und hab ihm all das geholt, was er so unbedingt braucht. Lecker Brotaufstrich, frisches Obst und ganz wichtig: Zahnpasta. Nur an sein wichtigstes Grundnahrungsmittel, den Kaffee, habe ich nicht gedacht.
Nur gut, dass der Mann immer eine Reserve hat. Noch nie habe ich löslichen Kaffee so gemocht, wie an diesem Morgen. Er hat sein Getränk. Ich kann weiter arbeiten. Denke ich zumindest.

„Der Kaffee brennt in meinem Hals“. Da ist es wieder. Das Pfeiffersche Drüsenfieber. Oder die Tuberkulose. Vielleicht auch das Anfangsstadium von Ebola. Ja, es hat ihn wirklich schrecklich erwischt. Ich leide mit ihm. Und versuche es mit einem Trick. Rauer Hals ist gleich raue Stimme. Raue Stimme ist gleich erotisch. Hui, ... Glück gehabt. Das mit John Wayne zieht. Freudig rennt er ins Bad. Noch viel freudiger mache ich mich wieder an die Arbeit. „Gibt es eigentlich Grippepickel?“, hallt es von nebenan. Heute morgen verlangt er mir wirklich einiges ab. Google hat von Grippepickel noch nie was gehört. Aber das erzähle ich ihm natürlich nicht. Das kann er in seiner momentanen Verfassung gar nicht gebrauchen. „Klar gibt’s die, Schatz. Das ist völlig normal.“ Ich hoffe, das schluckt er. Einen Mann mit Drüsenfieber, Tuberkulose, Ebola und jetzt auch noch Pocken, das wäre wirklich zu viel für mich.

Dann ist still. Sehr still. Eigentlich viel zu lang still. Als ich das nächste Mal schaue, ob das Tropenvirus den Siegeszug durch seinen Körper fortgesetzt hat, steht er, als sei nie etwas gewesen vor der Kaffeemaschine. Wirft einen letzten Blick auf die leeren Filtertüten und entscheidet, loszuziehen, um sein Lieblingsgetränk zu kaufen. Natürlich nicht ohne vorher noch ein paar wichtige Telefonate zu führen und seine Mails zu checken. Wunder? Spontanheilung? Keine Ahnung. Ich weiß nur, er sieht gut aus. Sehr gut. Wenn das so läuft, kann er öfter mal krank sein.

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